| Stufen der ZufluchtnahmeMit der Tatsache, dass alles und jedes zur Zuflucht werden kann, geht einher, dass die meisten Menschen ihre Zufluchten auf verschiedene — und oftmals viel zu viele — Dinge verteilen: ein bisschen Familie, ein bisschen Beruf, ein bisschen Buddhismus, ein bisschen Geheimnis. Entsprechend gibt es unterschiedliche Grade der dreifachen Zuflucht, also dessen, was Buddhisten zu Buddhisten macht.
In traditionell buddhistischen Ländern ist Zufluchtnahme oft — aber keineswegs immer — auf etwas beschränkt, das man als ethnische oder kulturelle Stufe der Zufluchtnahme bezeichnen kann. Buddhist sein beschränkt sich dann vorwiegend darauf, dass man in eine buddhistische Familie hinein geboren wurde oder in einer buddhistischen Umgebung lebt, in der es sich einfach gehört, dass man bestimmten Riten und Verpflichtungen nachkommt. Diese sind Teil des überlieferten Brauchtums der Herkunftskultur, obwohl man vielleicht im Einzelnen gar nicht klar versteht, was sie eigentlich bedeuten.
Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Ebene der Zufluchtnahme schlecht wäre. Nur ist sie begrenzt durch ihre Bindung an das, was als konventionell richtig gilt. Sie führt nicht besonders weit. Wenn buddhistische Praxis nachhaltig wirken und zum Erwachen führen soll, muss sie viel tiefer gehen. Dazu muss man sich bewusst entscheiden. Insofern kann man weder als Buddhist geboren, noch von Eltern oder anderen Menschen dazu bestimmt werden. Buddhistin oder Buddhist wird man erst durch eine bewusste persönliche Entscheidung.
Einer solchen Entscheidung geht in der Regel eine Art provisorische Zufluchtnahme voraus. Man probiert einfach aus, was es mit der buddhistischen Lehre und Übung auf sich hat. Vielleicht liest man, spricht mit anderen Buddhisten, übt ein wenig Meditation oder orientiert sich, wenn auch noch unverbindlich, an der buddhistischen Ethik. Es ist wichtig, sich Zeit für diese Stufe zu nehmen. Der Buddha bot seine Lehren als ehipassiko an — ein Pali-Wort mit der Bedeutung „komm und sieh“. Um auf einer tieferen Ebene Zuflucht nehmen zu können, müssen wir zunächst einmal Erfahrung sammeln. Erst dann können wir verstehen, worum es geht und uns entscheiden, ob das wirklich der Weg ist, den wir einschlagen wollen.
Wer ‚ja’ dazu sagt und sich mit Herz und Verstand bewusst auf die drei Juwelen verpflichtet, erreicht damit die Stufe der effektiven Zuflucht. Jetzt stehen die drei Juwelen tatsächlich im Mittelpunkt und geben dem Leben Richtung und Halt. Doch auch diese Zuflucht ist noch unsicher. Es ist von zahlreichen inneren und äußeren Bedingungen abhängig, ob die Zuflachtnahme auch effektiv bleibt: Erforderlich dazu sind regelmäßiges Nachdenken über Dharma, ethisches Handeln, Meditation, guter und häufiger Kontakt mit buddhistischen Freunden und Lehrern usw. Nur solange diese Bedingungen wirken, ist auch die eigene Praxis wirksam oder effektiv. Das gilt übrigens gleichermaßen für Mönche und Nonnen wie für so genannte Laien. Kein Lebensstil schützt als solcher davor, in einen quasi mechanischen, gewohnheitsmäßigen Alltagstrott zu verfallen. Effektive Zufluchtnahme zeigt sich darin, dass wir die Lehren und Methoden des Buddhadharma konsequent nutzen und dabei zugleich wissen, dass es sich bei ihnen nur um Werkzeuge handelt. Der Buddha selbst bezeichnete seine Lehre in einem berühmten Gleichnis als ein ‚Floß’, das wir zurücklassen müssen, wenn es uns ans andere Ufer übergesetzt hat.
Zur effektiven Zufluchtnahme gehört somit das, was man im Zen-Buddhismus Anfängergeist nennt. Nur wer innerlich frei ist, nicht Buddhist zu sein, kann wirklich Buddhist sein. Man muss sich immer wieder neu entscheiden — und, solange noch keine transzendente Einsicht gewonnen wurde, ist man gut beraten, sich ständig daran zu erinnern, dass man eigentlich noch nichts weiß. (Hat man echte Einsicht erlangt, dann weiß man aus direkter Herzenserfahrung, dass Leben immer vollkommen neu ist, dass es also nichts gibt und man nichts weiß, woran man sich festhalten könnte. Dann braucht man auch das Floß nicht mehr.)
Das ist die Stufe der wirklichen oder realen Zufluchtnahme. Hier haben wir uns von der Anziehungskraft falscher Zufluchten so weit befreit, dass wir nicht mehr dauerhaft ihren Lockrufen erliegen. Wir haben eine Stufe geistiger Offenheit und Kreativität erreicht, die von nun an unverlierbar ist und auf der man spontan die richtigen Entscheidungen trifft.
Die buddhistische Überlieferung hat verschiedene Namen für diese Stufe. In den südlichen Traditionen ist meistens von Stromeintritt[[führt zu <h2>Stufen der Erleuchtung</h2>, noch nicht geschrieben]] die Rede, in den nördlichen vom Erwachen zum bodhicitta. Diejenigen, die auf dieser Stufe angelangt sind, bilden den Arya-Sangha, die Gemeinschaft der ‚Edlen’. Von ihnen heißt es, dass sie nicht mehr von kulturellen Gewohnheiten und persönlichen Vorurteilen begrenzt sind. Ihr Vertrauen in die drei Juwelen ist unerschütterlich und ihre Einsicht ist so klar, dass sie es rasch bemerken und sofort korrigieren, wenn selbstbezogene Neigungen sich in ihnen äußern. Nur sie sind daher auch fähig, anderen Menschen eine echte Zuflucht zu bieten. Zuflucht zum Sangha ist daher in letzter Konsequenz Zuflucht zum Arya-Sangha.
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