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Buddha
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Blüten in Kusinagara — die letzten Monate im Leben des Buddha

Auch der Buddha musste sterben. Er war zwar erleuchtet, doch er war ein erleuchteter Mensch, und jeder Mensch muss sterben, da jeder Mensch geboren wird. Alles, was einen Anfang hat, geht zu Ende. Wir mögen es befremdlich finden, dass sogar ein Buddha sterben muss, doch gerade weil er ein Mensch ist – oder insofern er ein Mensch ist – muss er sterben.

 

Ebenso wenig wie der Buddha ein gewöhnlicher Mensch war, war sein Tod ein gewöhnlicher Tod. Schon zu seinen Lebzeiten fragten sich selbst seine nächsten Schüler manchmal ganz verwirrt, wer oder was der Buddha eigentlich sei und was ihm bei seinem Tod widerfahren würde. Wir wissen nicht, warum das so war, doch anscheinend beschäftigte gerade die letzte Frage nicht bloß viele seiner Schüler, sondern auch viele Menschen, denen der Buddha begegnete. Offenbar fanden sie die Frage so faszinierend, dass sie mit der Zeit eine Art Standardformulierung annahm. Wenn jemand den Buddha aufsuchte, fragte er: „Herr, existiert der Tathagata (der Buddha) nach dem Tod oder existiert er nicht, oder beides, oder keins von beiden?“ Der Buddha gab darauf immer wieder dieselbe Antwort: „Es ist nicht angemessen, über einen Buddha zu sagen, dass er nach dem Tod existiert. Es ist nicht angemessen, über einen Buddha zu sagen, dass er nach dem Tod nicht existiert. Es ist nicht angemessen, über einen Buddha zu sagen, dass er nach dem Tod sowohl (in gewissen Sinn) existiert als auch (in einem anderen Sinn) nicht existiert. Es ist nicht angemessen, über einen Buddha zu sagen, dass er nach dem Tod weder existiert noch nicht existiert. Es gibt keine Möglichkeit der Sprache und Kategorisierung, die man auf einen Buddha anwenden könnte.“

 

Diese Antwort verdeutlicht, dass der Tod des Buddha nichts mit einem gewöhnlichem Tod gemein hat. Deshalb spricht man in der buddhistischen Überlieferung meistens auch vom parinirvana des Buddha. Man sagt nicht etwa, der Buddha starb, sondern er erlangte das parinirvana. Nirvana ist natürlich gleichbedeutend mit Erleuchtung; pari heißt ‚höchste‘. Somit besagt parinirvana ‚höchste Erleuchtung‘. Damit stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Nirvana und parinirvana? Nun, letztlich gibt es keinen Unterschied. Jenes Nirvana, das der Buddha mit seiner Erleuchtung unter dem Bodhibaum erlangt hatte, wird von der Überlieferung als ‚Nirvana mit Rest‘ verstanden. Der Buddha hat weiterhin einen menschlichen Körper, und dieser bildet den ‚Rest‘. Parinirvana dagegen gilt als ‚ parinirvana ohne Rest‘, denn nun ist die Verbindung zum Körper aufgehoben. Das ist der einzige Unterschied. Und über diesen Unterschied machen sich vorwiegend andere, namentlich die nicht erleuchteten Schüler des Buddha, Gedanken. An sich ist es das gleiche parinirvana, aus der Sicht des Buddha gibt es zwischen den beiden keinen Unterschied. Wie oder was die Erleuchtungserfahrung auch sein mag – das können wir weder wissen noch beschreiben –, sie ist vor und nach dem Tod genau gleich. Für den Buddha wird deshalb auch sein Erlangen des parinirvanas kein einscheidendes Ereignis gewesen sein. Für uns aber, die wir nicht erleuchtet sind, ist es ziemlich wichtig.47

 

Die letzten Wochen und Monate des Buddha werden im Pali-Kanon in mehr Einzelheiten beschrieben als jede andere Phase seines Lebens. Offenbar fanden seine Anhänger, dass sie aus der Art und Weise seines Sterbens nicht wenig über seine Lehre sowie über das Wesen von Buddhaschaft lernen konnten.

 

Das Mahaparinibbana-Sutta, die große Lehrrede vom pari-nirvana oder endgültigen Verlöschen berichtet über die letzten Monate und vor allem den letzten Tag – oder die letzte Nacht – der irdischen Existenz des Buddha. In diesem Sutta sind eine größere Anzahl von Episoden und Lehren aneinandergereiht. Davon sind nicht alle für unser Thema von Belang. Ich werde einen kurzen Überblick über die letzten Monate des Buddha geben und dann hauptsächlich auf das Geschehen des letzten Tages eingehen. Zunächst aber möchte ich eine Episode herausgreifen, die sich kurz vor dem Aufbruch des Buddha zu seiner letzten Wanderung zutrug.

 

In dieser Begebenheit geht es um die Lehre vom ‚Dharma-Spiegel‘. Der Buddha erteilt sie Ananda, der natürlich auf die eine oder andere Weise an allen Ereignissen dieses Suttas beteiligt ist, denn er begleitete den Buddha auf seiner letzten Wanderung und war auch beim parinirvana zugegen. Ananda erscheint in den Schriften ganz allgemein als überaus lebhafter und liebenswerter Mensch. Außerdem hatte er – wie wir gleich sehen werden – einen leichten Hang zur Neugier.

 

Der Buddha und Ananda besuchen ein kleines Dorf namens Nadika, wo sie in der ‚Ziegelsteinhalle‘ unterkommen. Der Buddha hat in dieser Gegend viele Schüler. Nachdem sich die beiden Wanderer in ihrer zeitweiligen Bleibe eingerichtet haben, bricht Ananda auf, um einige Schüler des Buddha zu besuchen. Wenig später kommt er zurück und berichtet dem Buddha, was es Neues gibt. Seit ihrem letzten Besuch in der Gegend seien ein Mönch, eine Nonne und eine größere Anzahl von Laienanhängern gestorben. Neugierig wie Ananda ist, begnügt er sich nicht damit, den Buddha dergestalt zu informieren. Vielmehr will er genauer über das weitere Geschick jedes einzelnen Verstorbenen Bescheid wissen. Wo wurden sie alle wiedergeboren? Wurden sie überhaupt noch einmal wiedergeboren? Und der Buddha – vielleicht können wir uns ausmalen, wie er dabei einen leichten Seufzer ausstieß – erzählt Ananda alles, was er wissen will.

 

Offenbar waren ziemlich viele Leute gestorben, denn der Buddha braucht lange, um das alles zu erzählen. Als er endlich fertig ist, sagt er zu Ananda, er finde es doch ziemlich lästig, jedes Mal, wenn jemand gestorben sei, all diese Dinge mit ihm zu bereden. Deshalb wolle er Ananda nun lehren, wie er das in Zukunft selbst herausfinden könne. Er werde ihn den Dharma-Spiegel lehren.

 

Zweifellos gibt es einiges zum Dharma-Spiegel selbst zu sagen, doch in unserem Zusammenhang ist ein anderes Thema, das nur am Rande dieser Belehrung anklingt, wichtiger: die Zahl der Laienanhänger in dieser Gegend, die nach Aussage des Buddha ‚Nichtwiederkehrer‘, ‚Einmalwiederkehrer‘ und ‚Stromeingetretene‘ geworden waren. Mit den Begriffen ‚Stromeingetretener‘, ‚Einmalwiederkehrer‘, ‚Nichtwiederkehrer‘ und ‚Arahat‘ sind die vier Hauptstufen der sich vertiefenden transzendenten Einsicht angesprochen. Dieser ‚überweltliche‘ oder transzendente Pfad beginnt mit dem Öffnen des Dharma-Auges und gipfelt in der vollkommenen Erleuchtung eines Buddha. Über den verstorbenen Mönch berichtet der Buddha, er sei ein Arahat und werde deshalb überhaupt nicht mehr wiedergeboren; die Nonne sei eine Nichtwiederkehrerin und werde direkt in einem der ‚reinen Gefilde‘, einem Götterhimmel, Erleuchtung erlangen; einer der Laienschüler sei ein Einmalwiederkehrer, das heißt, jemand, der nur noch einmal als Mensch wiedergeboren wird, bevor er Erleuchtung erlangt. Außerdem, so fährt er fort, seien noch siebenundfünfzig weitere Laienschüler Nichtwiederkehrer, mehr als neunzig Einmalwiederkehrer und über fünfhundert Stromeingetretene – und das alles seit ihrem letzten Besuch an diesem Ort.

 

Das ist natürlich ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass zumindest Stromeintritt – also das Öffnen des Dharma-Auges – keineswegs so selten ist, wie oft angenommen wird. Allein aus diesem Abschnitt müssen wir schließen, dass alle Buddhisten, die ernsthaft üben, Stromeintritt erlangen können, und dies ungeachtet der Frage, ob sie Mönche, Nonnen oder Laien sind.

 

Kommen wir nun zu den Ereignissen der letzten Wanderung des Buddha. In der Nähe der grossen Stadt Vaischali spürte er stechende Schmerzen, die Symptome seiner letzten Krankheit. Womöglich hatte der plötzliche Witterungswechsel zu Beginn der Regenzeit seine Schmerzen noch verstärkt. Mit großer Willensanstrengung schöpfte er noch einmal Kraft für eine strapaziöse ‚Abschiedstour‘. Zu Ananda sagte er: „Meine Wanderungen gehen zu Ende. Wie ein abgenutzter Karren nur noch mit Hilfe von Riemen funktionsfähig gehalten wird, so ist auch mein Körper nur noch mit Bandagen funktionsfähig.“ Wie alles Bedingte unterlag auch der Körper des Buddha dem Gesetz des Verfalls. Nur sein Geist war jenseits von Geburt und Tod.

 

Er verabschiedete sich von seinen Schülern in Vaischali, einem Ort, der ihm sehr ans Herz gewachsen war, und begab sich auf eine Wanderung zu verschiedenen Ortschaften, um seinen Anhängern letzte Worte der Ermunterung zuzusprechen. Trotz anhaltender Schmerzen und unbeirrt von dem Wissen, um seinen nahenden Tod, war er wie eh und je für die Geschicke der Menschen offen und nahm daran regen Anteil. Die Schriften halten auch fest, dass er alles, was ihn umgab, mit der für ihn typischen Aufmerksamkeit wahrnahm und sich an der Schönheit mancher Landstriche und Haine erfreute, an denen sie vorbeikamen oder Rast machten. In Städten und Dörfern gab er Unterweisungen, nahm neue Schüler in den Sangha, die Gemeinschaft der Übenden, auf und gab letzte Anweisungen. In einem Ort namens Pava nahm seine letzte Mahlzeit ein, die der Dorfschmied Cunda für ihn zubereitet hatte. Er bekam schweren Durchfall. Mit letzter Kraft machte er sich auf den Weg nach Kusinagara. Am Ufer eines Bachs am Wegrand ruhte er aus und ermahnte Ananda, den Schmied Cunda zu trösten und zu beruhigen. Cunda dürfe sich nicht vorwerfen, dass er dem Buddha unwissentlich schlechte Nahrung gegeben habe. Er sei nicht zu tadeln; vielmehr sei es höchst verdienstvoll, einem Buddha die letzte Mahlzeit vor dem parinirvana darzubieten.

 

Beschirmt von Bäumen war er unter freiem Himmel geboren, und beschirmt von Bäumen hatte er unter freiem Himmel Erleuchtung erlangt. Und ebenso trat er nun beschirmt von Bäumen unter freiem Himmel ins parinirvana ein. An allen Orten dieser zentralen Ereignisse im Leben des Buddha gibt es heute Schreine und Tempel; sie sind zu Pilgerstätten für Buddhisten aus aller Welt geworden. In Kusinagara findet man den Schrein, der dem parinirvana gewidmet ist. Die buddhistischen Schriften betonen eigens, dass Kusinagara keineswegs zufällig zu dieser Ehre kam. Trotz einer besorgten Bemerkung Ananda, Kusinagara sei doch bloß ein ‚elendes Kaff am Ende der Welt, das aus nichts als Binsen und Lehm besteht‘, wählte der Buddha ganz bewusst diesen Ort für sein parinirvana. Selbst im Angesicht des Todes war er sowenig ein Opfer der Verhältnisse wie sein ganzes bisheriges Leben.

 

Um das Verständnis der Geschehnisse in Kusinagara zu erleichtern, wenden wir uns an dieser Stelle unserer Betrachtung des Mahaparinibbana-Suttas einer Episode zu, die sich schon zu Beginn der letzten Wanderung des Buddha zugetragen hatte. Diesmal geht es um die Lehre von der ‚subjektiven‘ und der ‚objektiven‘ Zuflucht.

 

Bekanntlich wanderten der Buddha und seine Schüler, die in den Schriften als bhikkhus (P.) oder bhikschus (Skt. für ‚Mönche‘) bezeichnet werden, gewöhnlich acht oder neun Monate des Jahres von Ort zu Ort. Nur während der Regenzeit ließen sie sich fest an einem Ort nieder. In seinem letzten Lebensjahr hatte der Buddha die drei Monate der Regenzeit in der Nähe des Dorfes Beluva verbracht. Dort angekommen, wurde er sehr krank. Er hielt es aber nicht für richtig zu sterben, ohne vorher vom Orden Abschied zu nehmen. Daher unterdrückte er die Krankheit mit großer Willenskraft. Sein Krankenlager befand sich in einem vihara, einer einfachen Unterkunft – vermutlich kaum mehr als einer kleinen Hütte mit nur einem Raum. Nach seiner Genesung trat er hinaus ins Freie und setzte sich in den Schatten eines Baums. Vielleicht genoss er einfach die frische Luft und den Sonnenschein. Da trat Ananda zu ihm heran. Er war von dem Gedanken, der Meister könnte sterben, sehr aufgewühlt. Der Buddha nutzte deshalb die Gelegenheit, um ein paar Dinge klarzustellen und bestimmte Ermahnungen zu erteilen. Die schriftliche Überlieferung lässt ihn folgendermaßen sprechen: „Darum, Ananda, seid von nun ab euch selbst eine Insel, euch selbst eine Zuflucht, sucht keine andere Zuflucht; nehmt die Lehre als Insel, die Lehre als Zuflucht, nehmt keine andere Zuflucht!“ Das war die Ermahnung des Buddha.

 

Auf den ersten Blick wirkt diese Ermahnung widersprüchlich. Einerseits soll Ananda zu sich selbst Zuflucht nehmen, andererseits aber auch zur Lehre. Die erste können wir als ‚subjektive Zuflucht‘ bezeichnen, die zweite als ‚objektive‘. Leider hilft der unmittelbar nachfolgende Abschnitt des Suttas unserem Verständnis kaum weiter. Hier sagt der Buddha nur, dass man zu sich selbst und zur Lehre Zuflucht nimmt, indem man die vier Grundlagen der Achtsamkeit, die vier satipatthanas, übt: Achtsamkeit beim Körper, Achtsamkeit bei den Gefühlsempfindungen, Achtsamkeit bei den Gedanken und Achtsamkeit bei den dharmas (das Wort dharma bedeutet in diesem Zusammenhang Geistobjekte, Lehrbegriffe oder auch einzelne Aspekte der Lehre). Die Übung der vier Grundlagen der Achtsamkeit führt demnach offenbar dazu, die subjektive und die objektive Zuflucht miteinander in Einklang zu bringen.

 

Wenn wir nun über diese Deutung ein wenig hinausgehen, können wir auch sagen, dass die ‚subjektive Zuflucht‘ einer Sichtweise entspricht, die das spirituelle Leben als persönliche oder bloß individuelle Entwicklung betrachtet, wohingegen die ‚objektive Zuflucht‘ das spirituelle Leben eher als Hingabe an ein äußerst lohnendes Ziel versteht. Doch benötigt man beide Arten der Zuflucht und muss sie miteinander in ein Gleichgewicht bringen.

 

Unter Buddhisten im Westen neigt sich die Waagschale wahrscheinlich eher zugunsten der subjektiven Zuflucht – doch beginnt sich das wohl bereits zu ändern. Trotzdem neigen noch viele Menschen zu einer gewissen ‚Überempfindlichkeit‘, wenn sie zu beurteilen versuchen, was für ihre eigene Entwicklung gut ist. Dabei ignorieren sie womöglich die Anforderungen der objektiven Situation. Das kann beispielsweise dazu führen, dass jemand an einer Besprechung nicht teilnimmt, weil ihr oder ihm gerade nicht nach ‚Geschäftlichem‘ zumute ist. Wir können uns leicht einreden, es sei unserer spirituellen Entwicklung abträglich, an derartigen Treffen teilzunehmen. Unsere spirituelle Praxis muss aber in beiden Richtungen ausgewogen sein. Für manch einen wird das bedeuten, die Anforderungen der objektiven Situation wichtiger zu nehmen. Dadurch gibt man den Buddhas und Bodhisattvas wie auch anderen Menschen im eigenen Leben mehr Gewicht.

 

Kehren wir nun nach Kusinagara zurück und damit zum Abschluss der Wanderungen des Buddha. Die Mallas, in deren Stammesgebiet Kusinagara lag, hatten außerhalb des Ortes zwei parallele Reihen von sala-Bäumen gepflanzt, die sich von Osten nach Westen erstreckten. Am östlichen Ende zwischen den beiden letzten Bäumen gab es eine Art Plattform, die anscheinend für Zusammenkünfte genutzt wurde. Dort legte der Buddha sich nieder – den Kopf nach Norden, die Füße nach Süden gerichtet. Wie so oft stützte er sich auf seine rechte Seite, so dass sein Blick nach Westen ging und er direkt in die lange Allee der sala-Bäume hineinschaute. Ginge man nun diesen Weg hinauf, dann sähe man den Buddha ganz am Ende unter den letzten beiden sala-Bäumen liegen. Ein wirklich eindrucksvolles Bild.

 

Wie er nun so dalag, geschah etwas ganz Unerwartetes. Der Buddha machte Ananda darauf aufmerksam, und die Pali-Schriften haben es wie folgt überliefert:

 

 

 

Da nun redete der Erhabene den ehrwürdigen Ananda an: „Über und über mit Blüten bedeckt, Ananda, sind die Zwillingssalas, obgleich es nicht Blütezeit ist. Den Leib des Vollendeten bestreuen sie, überstreuen sie, überschütten sie zum Zeichen der Verehrung für den Vollendeten. … Auch himmlische Sandelholz-Pulver fallen aus der Luft herab, die bestreuen den Leib des Vollendeten, überstreuen ihm, überschütten ihn zum Zeichen der Verehrung für den Vollendeten. Auch himmlische Musikinstrumente spielen in der Höhe, zum Zeichen der Verehrung für den Vollendeten. Auch himmlische Gesänge ertönen in der Höhe zum Zeichen der Verehrung für den Vollendeten.

 

Nicht aber, Ananda, insofern ist der Vollendete geehrt, gewürdigt, geachtet, verehrt, hochgehalten. Der Mönch, Ananda, oder die Nonne oder der Anhänger oder die Anhängerin, die ganz der Lehre entsprechend leben, in der rechten Weise leben, der Lehre gemäß wandeln, die ehren, würdigen, achten, verehren den Vollendeten mit der höchsten Verehrung. …“

 

 

 

Der Kern dieser Äußerung scheint offenkundig: Wahre Verehrung des Buddha besteht darin, seiner Lehre zu folgen. Allerdings müssen wir gerade hier vor einem Missverständnis warnen. Der zitierte Abschnitt passt nur allzu gut zu unserer westlichen, verstandesbetonten Denkweise und damit zu unseren rationalistischen Vorurteilen. Nur zu gerne möchten viele von uns glauben, der Buddha sage hier, die Gabe von Blumen, Licht und Kerzen sei überflüssig. Aber so ist die Aussage keineswegs gemeint.

 

Es stimmt zwar, dass Opfergaben wie Blumen und dergleichen in keiner Weise die praktische Anwendung der Buddha-Lehre, also die Übung von moralischem Verhalten (sila), von Meditation (samadhi) und Weisheit (prajna) ersetzen können. Das heißt aber nicht, dass wir keine Blumen geben sollten. Blumen zu geben ist vielmehr ein Ausdruck der Verehrung und kann auf diese Weise unsere Hingabefähigkeit stärken. Wer für den Buddha keine Hingabe empfindet, wird wahrscheinlich auch seine Lehre nicht wirklich üben.

 

Überdies sollten wir nicht vergessen, zu wem der Buddha hier sprach. Soweit wir wissen, war Ananda ziemlich gefühlsbetont und nicht vorwiegend intellektuell ausgerichtet. Vielleicht wurde er gelegentlich sogar von seinen Gefühlen übermannt, und man musste ihn daran erinnern, dass Gefühle nicht alles bedeuteten – nicht einmal Gefühle von Hingabe und Verehrung.

 

Auch in dieser Hinsicht sind westliche Menschen oft ganz anders. Sie finden es in der Regel ziemlich leicht, die Buddha-Lehre zu verstehen. Bis zu einem gewissen Grad finden sie es sogar leicht, sie zu üben. Um so schwerer tun sie sich allerdings damit, starke Gefühle der Hingabe zuzulassen. Viele Menschen kennen solche Gefühle noch nicht einmal – sie haben vielleicht davon gehört oder darüber gelesen, sie aber nie selbst erlebt. Das hat leider zur Folge, dass das spirituelle Leben dieser Menschen früher oder später zum Stillstand kommt oder sich zumindest bedenklich verlangsamt. Im Gegensatz zu Ananda sollten wir, wie jene sala-Bäume, dem Buddha möglichst viele Blumen, am besten sogar riesige Blumensträuße darbieten. Seine Äußerung ist bestimmt nicht als Billigung einer nur rationalistischen Einstellung zum spirituellen Leben zu verstehen.

 

So lag der Buddha unter den blühenden sala-Bäumen von Kusinagara und klärte mit seinen Schülern noch einige letzte Fragen. Dabei legte er unter anderem fest, auf welche Weise seine Bestattung vor sich gehen solle. Ananda und die Mönchsgemeinde sollten sich nicht weiter darum kümmern, sondern mit ihrer Übung der Lehre fortfahren. Die Laienanhänger aus der Bevölkerung dagegen sollten seine sterblichen Überreste wie die eines großen Königs behandeln.

 

Für Ananda war das Ganze nicht mehr zu ertragen; weinend entfernte er sich. Der Buddha ließ ihn jedoch zurückrufen und sprach zu ihm: „Genug, Ananda, sei nicht so traurig. Es gehört doch zur Natur der Dinge, die uns lieb und teuer sind, dass wir uns irgendwann von ihnen trennen müssen. Ananda, du hast mir jahrelang in deinen Taten, Worten und Gedanken unbegrenzte, von Herzen kommende Liebe erwiesen. Setze nur deine Bemühung fort, dann wirst auch du bestimmt die Befreiung von allen Makeln erlangen.“ Darauf pries der Buddha vor der ganzen Mönchsversammlung Ananda zahlreiche Tugenden.

 

Im Anschluss daran befasste er sich mit einigen recht alltäglichen Angelegenheiten der ‚Mönchsdisziplin‘. (Eigentlich können wir im Hinblick auf den frühen Sangha nicht wirklich von ‚Mönchen‘ sprechen. Es handelte sich dabei vielmehr um eine ziemlich lose Gemeinschaft von Wanderern, die sich zum Buddha und seiner Lehre bekannten.) Der Buddha veranlasste, dass sein früherer Wagenlenker Chandaka, der sich dem Sangha zwar angeschlossen hatte, in jüngster Vergangenheit aber starrsinnig an gewissen schädlichen Übungsmethoden festgehalten hatte, so lange aus der Gemeinschaft ausgeschlossen bleiben sollte, bis er wieder Vernunft angenommen hatte – was er bald danach auch tat. Auf diese und andere Weise richtete der Buddha bis zum letzten Atemzug sein klares und mitfühlendes Gewahrsein auf das Wohl einzelner Menschen. Das ging soweit, dass er sogar noch einen letzten Schüler in den Sangha aufnahm. Dies war der Wanderasket Subhadra, der sich gerade zufällig in der Nähe von Kusinagara aufhielt und gehört hatte, dass der Buddha im Sterben lag. Diese Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen und begab sich zum Buddha.

 

Ananda wollte nicht, dass ein Fremder den Buddha zu diesem Zeitpunkt störte, und erlaubte ihm nicht, näher zu treten und selbst mit dem Buddha zu sprechen. Doch der Buddha hatte ihr Gespräch mitbekommen und forderte Ananda auf, Subhadra vorzulassen. Wie so oft, entspann sich ein Gespräch – diesmal zwischen dem Buddha und Subhadra. Der Buddha belehrte ihn, und Subhadra wurde sozusagen ‚bekehrt‘. Er nahm Zuflucht und bat um Ordination, die der Buddha ihm gewährte.

 

Zuletzt forderte der Buddha seine Schüler auf, Zweifel oder Unklarheiten, die sie hinsichtlich seiner Lehre vielleicht noch haben mochten, hier und jetzt vorzubringen, damit er sie noch ausräumen könne. Doch alle schwiegen still. Dann ermahnte er sie ein letztes Mal: „Alle bedingten Dinge müssen vergehen. Strebt eifrig weiter.“ Danach trat er in eine Meditation ein und verschied.

 

In manchen Bildern großer Künstler des japanischen und chinesischen Mittelalters ist die überwältigende Kraft dieses Geschehens von Kusinagara eindrucksvoller und anrührender festgehalten, als es die Worte des Pali-Kanons vermögen. Diese Bilder zeugen auch von einer Ergriffenheit, die wir bei der Darstellung anderer Ereignisse aus dem Leben des Buddha kaum finden: Vor einem wunderbaren Waldhintergrund ragen säulenartig die kräftigen, hohen Stämme der sala-Bäume empor, mit einer ausladenden Krone aus saftig grünen Blättern und großen, weißen Blüten. Darunter ruht auf die rechte Seite gestützt der Buddha, und von den sala-Bäumen regnen weiße Blüten auf ihn herab. Am Kopfende sitzen seine nächsten Schüler in ihren gelben Kutten; die verschiedensten Menschen – Brahmanen, Fürsten, Minister, Asketen, Feueranbeter, Kaufleute, Bauern und Händler – scharen sich dicht gedrängt um die Plattform, auf der er liegt. Nicht nur Menschen, sondern auch Tiere – Elefanten, Ziegen, Hirsche, Pferde, Hunde, sogar Mäuse und Vögel – sind herbeigekommen, um einen letzten Blick auf den Buddha zu werfen. Hoch in den Wolken schweben Götter und Göttinnen und vervollständigen die kosmische Sterbeszene. Die besten dieser Gemälde machen deutlich spürbar, dass es sich hier nicht um das gewöhnliche Ende irgendeines Lebens geht, sondern um ein Ereignis von universaler Grösse, zu dem alle Wesen als Zeugen berufen sind.

 

Wie zu erwarten, ist die Grundstimmung eher gedrückt. Sogar die Tiere weinen. Besonders augenfällig sind die dicken Kullertränen, die von den Wangen des Elefanten herabrollen. Die einzigen, die nicht weinen, sind die Katze und einige jener Schüler des Buddha, die ganz nahe bei ihm sitzen. Die Katze ist so ungerührt, wie es ihre sagenumwobene Nonchalance verlangt; die engsten Schüler des Buddha sind dagegen aus anderen Gründen ruhig und gefaßt: sie können über den bloßen Körper hinausschauen und wissen, dass der Übergang vom Nirvana zum parinirvana eigentlich gar keine Veränderung ist.

 

Dies also ist der ‚Tod‘ des Buddha, und es ist zugleich jenes Ereignis, dessen die heutigen Buddhisten am sogenannten pari-nirvana-Tag gedenken, der meistens am Vollmondtag im Februar/März gefeiert wird. Dieser Tag ist in erster Linie ein Fest der Dankbarkeit. Man erinnert sich an das Vorbild und die Lehren, die der Buddha durch das Beispiel seines Lebens gegeben hat. Natürlich herrscht bei dieser Feier eine andere Stimmung als an anderen buddhistischen Festtagen, denn nicht zuletzt geht es ja darum, die Gedanken auf die Tatsache des Todes zu richten. Damit ist natürlich nicht nur der Tod des Buddha gemeint, sondern auch unser eigener Tod. Somit wird die Atmosphäre sicherlich ernst, aber keineswegs düster sein. Eine nachdenkliche, meditative Gestimmtheit ist viel eher angebracht. An diesem Tag reflektieren Buddhisten darüber, dass Tod nicht bloß einmal im Jahr, sondern tagtäglich gegenwärtig ist. Eigentlich sollte die Besinnung auf diese Tatsache etwas ganz Selbstverständliches sein und untrennbar zu unserer täglichen Übung gehören.

 

Buddhisten nehmen den parinirvana-Tag nicht nur zum Anlass, um das parinirvana des Buddha und die Tatsache ihres eigenen Todes zu vergegenwärtigen, sondern auch um anderer Verstorbener zu gedenken – insbesondere jener spirituellen Freunde und Freundinnen, die im Lauf des vergangenen Jahres gestorben sind. Wer einen eigenen Schrein hat, wird dort vielleicht ihre Fotografien aufstellen – am besten unterhalb der Bildnisse von Buddhas, Bodhisattvas und spirituellen Lehrern. Man kann auch die Namen und Todesdaten der Verstorbenen vor oder während einer puja – einer buddhistischen Andacht – verlesen. Natürlich kann man auch anderer verstorbener Freunde und Angehöriger gedenken und muss sich dabei nicht nur auf die eigenen Verwandten und Bekannten beschränken.

 

Warum aber sollte man so etwas überhaupt tun? Dafür gibt es manche wichtige Gründe. Zunächst einmal steigern Sie auf diese Weise den Wert des parinirvana-Tags. Zweitens erinnern Sie sich daran, dass Sie selbst, wie alle Menschen, die Ihnen nahe stehen, sterben werden – ganz gleich, ob sie erleuchtet sind oder nicht. Drittens, und das gilt besonders im Hinblick auf spirituelle Lehrer und Freunde, machen Sie sich bewusst, dass die spirituelle Verbindung mit ihnen durch den physischen Tod nicht abreißt. Zur spirituellen Gemeinschaft im weitesten Sinn gehören die Lebenden wie die Toten. Dieses Wissen kann Ihnen helfen, die Beschränktheit Ihres eigenen Körpers zu transzendieren und zu erkennen, dass die spirituelle Gemeinschaft nicht den Grenzen von Raum und Zeit unterliegt und dass die Toten daher in gewissem Sinn auch nicht tot sind. Viertens kann eine gemeinsame Gedenkfeier ganz besonders jenen Menschen helfen, die Tatsache des Todes anzunehmen, die kürzlich selbst eine nahe stehende Person verloren haben. Schließlich wirkt die Besinnung auf den Tod jüngst verstorbener Menschen zugleich als eine Aufforderung, endlich alle Streitigkeiten beizulegen, denn man kann jederzeit von seinen Nächsten und Liebsten getrennt werden.

 

Das parinirvana des Buddha fordert uns damit auch nachdrücklich auf, unsere Meditationsübung im Licht des allgegenwärtigen Todes zu erneuern. Überdies kann es dazu anspornen Meditationspraktiken aufzunehmen, die speziell den Tod zum Gegenstand haben. In diesem Zusammenhang ist die schon verschiedentlich erwähnte ‚Betrachtung der sechs Elemente‘ wichtig, die ich nun etwas ausführlicher beschreiben möchte.

 

Zunächst einmal entwickeln Sie einen stillen, innerlich zufriedenen Zustand der Sammlung und Konzentration. Dann, während Sie ruhig und gesammelt dasitzen, führen Sie sich allmählich das Element Erde vor Augen und entwickeln ein Gespür dafür, was dieses Element eigentlich ist. – ‚Erde‘ – Damit ist alles Feste und Kompakte gemeint. Sie können an alle möglichen Dinge der Außenwelt denken, die fest sind – Dinge aus der Natur wie Bäume und Felsen, künstlich Geschaffenes, wie Häuser und Bücher, sie alle gehören zum Erdelement. Dann denken Sie: „Erde gibt es nicht nur draußen in der Außenwelt. Auch in meinem Innern, im subjektiven Bereich, der ich selbst bin, gibt es das Element Erde. Meine Knochen, mein Fleisch, Haare und Fingernägel – sie alle gehören zum Erdelement. Woher kommen meine Knochen? Woher kommt mein Fleisch? Woher stammt das Erdelement in mir?“ Nun verdeutlichen Sie sich: „Das alles kommt vom Element Erde dort draußen. Es gehört mir nicht. Ich habe es geborgt. Ich habe es nur für einen kurzen Zeitraum vom Element Erde dort draußen geliehen und meinem Sein, meiner Substanz, meinem Körper einverleibt. Ich kann es aber nicht für immer behalten. In ein paar Jahrzehnten oder auch schon in einigen Jahren – oder sogar noch früher, wer weiß – muss ich es wieder abgeben. Dann wird sich das Element Erde in meinem Körper wieder in das Erdelement der Außenwelt auflösen. Wie könnte ich also behaupten, dass dieses Erdelement mir gehört oder sogar, dass ich es bin? Es gehört mir nicht; ich bin es nicht. Ich muss es zurückgeben. Also gut, ich lasse es los. Es ist nicht ‚ich‘. Ich kann es nicht als ‚mein‘ beanspruchen und mich auch nicht damit identifizieren.“

 

Auf die gleiche Art und Weise verfahren Sie nun mit dem Element Wasser. – ‚Wasser‘ – Damit ist alles Feuchte, Flüssige und Strömende gemeint. In der Außenwelt begegnet Ihnen das Wasserelement in Gestalt von Bächen und Flüssen, Meeren, Regen und Tau; in Ihrem Innern gibt es dieses Element ebenfalls: als Blut, Galle, Tränen und so weiter. Woher haben Sie es genommen? Zweifellos aus der Außenwelt. Wenn Sie sterben, wird es wieder dorthin zurückkehren. Es gehört Ihnen nicht; Sie sind es nicht. Darum: Lassen Sie es los, hören Sie auf, sich damit zu identifizieren.

 

– ‚Feuer‘ – Das Feuerelement in der Außenwelt ist die Sonne, die Quelle aller Wärme und allen Lichts in unserem Sonnensystem. Auch in Ihnen gibt es Wärme. Woher kommt sie? Natürlich vom Feuerelement in der Außenwelt. Entsprechend kontemplieren Sie: „Eines Tages werde ich es zurückgeben müssen. Ich kann nicht für immer daran festhalten. Wenn ich gestorben bin, werde ich erkalten; die Wärme wird den Körper verlassen. Jenes Feuerelement in mir, das zur Zeit so viele Dinge in meinem Körper unterstützt, gehört mir nicht wirklich. Es ist nicht ‚mein‘. Ich kann mich nicht mit ihm identifizieren. Also lasse ich es los. Ich lasse das Feuerelement in mir zum Feuerelement im Universum zurückkehren.“

 

– ‚Luft‘ – Hier denken Sie: „In der Außenwelt gibt es Luft – die Atmosphäre, die die Erde umgibt. In mir gibt es den Atem des Lebens. Die ganze Zeit über atme ich ein und wieder aus. Aber ich habe die Luft nur für kurze Zeit geborgt. Sie gehört mir nicht. Ein Tag wird kommen, da atme ich ein und atme aus und atme ein und aus und … nicht mehr ein. Dann bin ich tot, und der Atem hat meinen Körper verlassen. Dann habe ich ihn zum letzten Mal zurückgegeben. Deshalb kann ich nicht behaupten, dass ich das Luftelement in mir bin oder dass es mir gehört. Darum lasse ich es los. Ich werde mich nicht mehr damit identifizieren.“

 

– ‚Raum‘ – Sie reflektieren: „Der aus den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft gebildete Körper, mit dem ich mich bisher identifiziert habe, nimmt Raum ein. Wenn das Erdelement den Körper verlässt, wenn das Wasserelement geht, wenn Feuer und Luft ins Universum zurückkehren, was bleibt dann? Nichts. Bloß ein leerer ich-förmiger Raum. Und wie kann ich diesen ich-förmigen Raum von dem ihn umgebenden Raum unterscheiden? Gar nicht.“ Die indische Überlieferung gibt hierfür folgenden Vergleich. Wenn ein Tongefäß zerbricht, verbindet sich der Innenraum des Gefäßes mit dem Raum, der es umgibt, so dass sie nicht mehr voneinander unterscheidbar sind. Genauso verhält es sich mit Ihrem Körper. Wenn Ihr Körper zerfällt, geht der früher von ihm eingenommene Raum wieder in den Raum des Universums über. Dann gibt es Sie nicht mehr. Wie wollen Sie also an dem Körper festhalten, der zur Zeit einen gewissen Raum einnimmt? Sie können es nicht. Lassen Sie deshalb den Raum, den Sie besetzt halten, mit dem Raum des Universums verschmelzen.

 

Schließlich, als sechstes Element – ‚Bewusstsein‘. In Verbindung mit Ihrem Körper gibt es Bewusstsein. Nun könnten Sie vielleicht denken: „Wenn ich selbst auch nicht Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum bin, so bin ich doch bestimmt Bewusstsein?!“ Nein. Sogar das Bewusstsein ist geborgt. Was Sie ‚mein Bewusstsein‘ nennen, ist nur eine Art Spiegelung, ein Abglanz eines höheren, universaleren Bewusstseins, das in gewissem Sinn zwar das ist, was Sie ‚ich‘ nennen, in einem anderen Sinn aber überhaupt nicht. Sie können es vielleicht mit der Beziehung zwischen Wachen und Träumen vergleichen. Wenn Sie wach sind, sprechen Sie davon, dass Sie einen Traum ‚hatten‘. Wo aber sind Sie, während Sie träumen? Es scheint, als ob dann der Traum Sie ‚hat‘. Ganz ähnlich verhält es sich mit der höheren Bewusstseinsdimension, mit der Sie sich als ‚mein‘ Bewusstsein identifizieren. Bewusstsein ist zwar vorhanden, aber das ‚mein‘ muss verschwinden. Sogar die Individualität im Sinne eines Ich-Gefühls löst sich auf. Es ist gleichsam, als müsste das niedere Bewusstsein in das höhere eingehen. Dies geschieht aber als Bewusstsein oder zumindest auf bewusste Weise, ohne dass es dadurch vernichtet wird. Es gibt dabei also keinen Verlust an Bewusstheit, sondern sie ist von nun an nicht länger auf ein ‚Ich‘ bezogen. Paradoxerweise sind Sie aber noch nie zuvor so vollständig Sie selbst gewesen.

 

Dies also ist die Kontemplation der sechs Elemente, die in der Überlieferung als besonders gutes Mittel gegen Stolz – und damit gegen die Identifikation mit einer bestimmten Art zu sein – gilt. Eine Variante dieser Meditation führt wieder direkt zum parinirvana des Buddha zurück. Bei jener Übung visualisiert man die sechs Elemente – Erde, Wasser, Feuer, Luft, Raum und Bewusstsein – in Form verschiedenfarbiger und verschieden gestalteter geometrischer Figuren. Als erstes sehen Sie vor und über sich in der unermesslichen Weite des strahlend blauen Himmels einen großen gelben Quader. Dieser verkörpert das Element Erde. Auf seiner Oberseite visualisieren Sie eine große weiße Kugel, die das Element Wasser versinnbildlicht. Darüber erscheint ein leuchtend roter Kegel, das Feuerelement. Auf der Spitze dieses Kegels balanciert ein blass grüner schalen- oder untertassenförmiger Körper, der für Luft steht. Darin befindet sich eine goldene Flamme als Sinnbild für Raum oder Äther. Die Spitze der Flamme hat die Farben eines Regenbogens – sie kann auch in einen regenbogenfarbenen Juwel münden –, und dadurch wird das Bewusstseinselement angedeutet.

 

Wenn man nun diese geometrischen Symbole der sechs Elemente in der beschriebenen Weise übereinander anordnet, bilden sie den sogenannten stupa. Deshalb nennt man diese Praktik auch ‚Stupa-Visualisation‘. Der Stupa ist in unserem Zusammenhang aber von Bedeutung, weil er ursprünglich ein Grabmal besonderer Art war. Manchmal enthielt er Totenasche, und dabei handelte es sich oft um die Asche eines besonders hoch geeehrten Menschen. In der buddhistischen Geschichte und Überlieferung ist der Stupa eng mit dem parinirvana des Buddha verknüpft. Die frühe buddhistische Kunst nahm den Stupa sogar als Symbol schlechthin für das parinirvana des Buddha.

 

Es ist nun äußerst interessant und zugleich aufschlussreich zu sehen, auf welche Art die buddhistischen Künstler der Frühzeit den Buddha in ihren Steinreliefs dargestellt haben. Der Stupa ist hier nur eines von vielen Symbolen. Manchmal wurde der Buddha auch bloß durch ein paar Fußabdrücke angedeutet. Auf Bildern, die von seiner Geburt handeln, erscheint an Stelle des neugeborenen Kindes oft eine Lotosblüte. Den Aufbruch Siddharthas um der Wahrheit willen, seinen Weg aus der Heimat in den Dschungel, bildeten die frühen Künstler mit dem aus dem Palast stürmenden Pferd ab, das aber statt eines Reiters nur einen geöffneten Schirm auf dem Rücken trägt. Wird die Erleuchtung des Buddha dargestellt, dann sieht man wohl den Bodhibaum, den Thron (oder das Kissen aus kusa-Gras), aber der Sitz selbst ist leer oder es befindet sich nur ein Dreizack als Sinnbild für die Drei Juwelen darauf. Darstellungen der ersten Unterweisung zeigen die fünf zuhörenden Mönche und den bloßen Platz des Lehrers; selbst die Tiere des Gazellenhains sind abgebildet. Der Lehrer aber, dem die Schüler lauschen, wird durch ein Rad – das dharma-cakra oder Rad der Lehre – dargestellt. Andere Bilder zeigen den Bodhibaum, unter dem der Buddha die Erleuchtung erlangte, und davor Mara, der einen klobigen Prügel schwingt; der Buddha jedoch, den Mara angreift, ist nur durch den Bodhibaum selbst angedeutet. Entsprechend zeigen die frühesten Darstellungen des parinirvana statt des Buddha auf der Steinbank unter sala-Bäumen, wie wir das von den Bildern der späteren chinesischen und japanischen Maler kennen, nur den Stupa als Symbol für den Buddha.

 

Es gibt natürlich gute Gründe für einen solchen Verzicht. Anscheinend empfanden die frühen Buddhisten sehr deutlich, dass der Buddha unermesslich und eigentlich überhaupt nicht darstellbar ist – dass er vielmehr transzendent ist. Das Wesen eines Buddha geht über alles Denken, über alle Sprache, und alle Worte hinaus. Wenn man es in Worten zu erfassen sucht, muss man letztlich doch schweigen. Wer ein Ereignis aus dem Leben des Buddha malen oder in Stein hauen will und dabei zur Person des Buddha selbst kommt, muss eigentlich einen leeren Raum für ihn lassen oder eben ein Symbol einfügen. Man kann den Buddha nicht abbilden; er übersteigt jede Art der Darstellung.

 

Obwohl spätere Künstler sich für fähig hielten, den Buddha bildlich darzustellen, blieben Symbole wie das Rad der Lehre, der Bodhibaum und ganz besonders vielleicht der Stupa als sehr kraftvolle Sinnbilder für Erleuchtung erhalten. In allen Ländern des buddhistischen Ostens wurden Stupas unterschiedlichster architektonischer Ausprägung zu typischen Merkmalen des Landschaftsbilds. Bei sich zuhause haben Buddhisten oft kleine, aus Bronze gegossene oder aus Holz gedrechselte Stupas, um sich daran zu erinnern, dass auch sie eines Tages jene Elemente wieder ans Universum zurückgeben müssen, die sie für ‚sich selbst‘ gehalten hatten. Sie und wir – wie auch der Buddha – müssen alle sterben.

 

Auszug aus: Sangharakshita, Mensch?Gott?Buddha. Leben jenseits von Gegensätzen, do evolution, Essen 1998, S. 120-139

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von do evolution.